05 Oktober 2016

Der Zorn der Sterbenden


darüber spricht man nicht

 
Sterbende Menschen können manchmal richtig wütend werden. Dabei ist wütend noch eine harmlose Bezeichnung. Wutentbrannter oder blinder Zorn trifft es besser. Ich habe diese Wut, sterben zu müssen, mehrfach erlebt. Merkwürdigerweise betrifft das häufig Menschen, die in ihrem Leben Führungspositionen innehatten. Die es also gewohnt waren, weitreichende Entscheidungen zu treffen und dadurch das Leben vieler anderen Menschen nachhaltig mitzubestimmen. Menschen aus dem Management, der Wirtschaft, der Politik.
 
Sterbende halten ihre Wut am Lebensende nicht mehr zurück, sondern leben sie rückhaltlos aus. Sie zeigt sich in hochaggressiven verbalen Attacken, theatralischen Schimpftriaden, permanentem Nörgeln oder streitsüchtigen Bemerkungen. Kurz, sterbende Menschen können manchmal unausstehlich, hinterlistig und durchtrieben sein. Keiner ist davor sicher, weder Freunde, Familie, Kollegen oder andere nahestehende Menschen. 
 
Viele Angehörige und Wegbegleiter sind darauf in keiner Weise vorbereitet – wie auch – nehmen die aggressive Wut persönlich und wenden sich ab. Sie ist auch schwer zu ertragen, doch dahinter steht oftmals der Neid auf alle diejenigen, die nicht in absehbarer Zeit sterben müssen und weiterhin ihre Träume und Wünsche realisieren können.
 
Vor allem aber auch die Angst davor, dass es kein gutes Bild von ihnen geben wird,
das nach ihrem Tod in der Erinnerung der Hinterbliebenen einen Platz finden könnte. 
 
Welches Bild von mir möchte ich in den Köpfen der Menschen wissen, die mir wichtig sind?
 
Die Blüte des Zornes ist die Raserei.
Euripides

***
Meine blog-Einträge werden mit Zeichnungen von geflüchteten Menschen begleitet,
die in Hamburg angekommen sind. Sie sind auf
Kunstaktionen vor ihren Notunterkünften entstanden.
Es ist mir eine große Ehre, dass ich dabei fotografieren durfte.
DANKE!  
Milan, 8 Jahre alt, malt ein grellrotes Flugzeug,
einen Spähpanzer und ein Haus  mit einer grünen Tür.
Grün ist die Farbe der Hoffnung.